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Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 278 | 17. Mai 2012 | Seite 3 | Zur Diskussion

Ablehnung

„Der Bundesregierung weht der Wind ins Gesicht“, kommentiert die FAZ vom 10.5. nach den Wahlen in Griechenland und Frankreich, die bestimmt waren von der massiven Ablehnung des Spar- und Schuldenabbau-Diktats der Troika, für dessen Umsetzung die Bundeskanzlerin Merkel – unter dem Druck Obamas und des Finanzkapitals - auf europäischer Ebene eine Vorantreiberrolle übernommen hat.

Diese Ablehnung trifft alle Regierungen und Parteien, die sich der Umsetzung dieser Politik verschrieben haben. Eine Regierung nach der anderen – egal welcher Couleur - sieht sich geschwächt, fällt.

Francois Hollande, der keineswegs für einen Verzicht auf die Ratifizierung der von seinem geschassten Vorgänger Sarkozy unterzeichneten neuen europäischen Verträge (ESM und Fiskalpakt) eintritt, der vielmehr mit Merkel über einen ergänzenden „Wachstumspakt“ zur Förderung der Struktur- und Arbeitsmarktreformen verhandeln will, wird es schwer haben gegen die Ablehnung gerade dieser Politik durch die Mehrheit des französischen Volkes zu regieren.

Es war ein wahres politisches Erdbeben, das die Regierungsparteien Griechenlands, die PASOK und die Neue Rechte getroffen hat, abgestraft und zur Regierungsunfähigkeit verurteilt von der großen Mehrheit des Volkes, das endlich eine Regierung will, die mit dem brutalen Diktat der Troika bricht und deren Sozialkahlschlagprogramm aufkündigt.

Die Ablehnung dieses Diktats, das alle Länder an den Rand des Elends und sozialen Verfalls treibt, die die Demokratie und Souveränität der Völker zerstört, zeigt sich auch in den anwachsenden Streikbewegungen in ganz Europa, die im Generalstreik in Spanien am 29. März einen Höhepunkt gefunden haben.

Die bürgerliche Koalitionsregierung unter Merkel, die eine Serie von Wahlniederlagen kassiert hat, zuletzt in Schleswig-Holstein und die schwerste jetzt in NRW, ist trotz allem entschlossen, mit Hilfe der neuen europäischen Verträge Europa und auch Deutschland eine Super-Agenda-Politik der verschärften Schuldenbremse aufzuzwingen; einem Land, in dem schon seit 10 Jahren im Rahmen der Agenda 2010 diese rigide Spar- und Deregulierungspolitik, der drastischen Ausweitung des Billiglohnsektors, der Zersetzung der Flächentarifverträge und der Arbeitnehmerrechte praktiziert wird.

Doch nach den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst treten jetzt die Metaller nach 10 Jahren Lohnverzicht und Deregulierung in den Warnstreik für eine „kräftige Reallohnerhöhung“, für Maßnahmen gegen die Leiharbeit und die unbefristete Übernahme der Azubis. Die Gewerkschaftsführung unter Huber musste unter dem Druck dieser Kampfentschlossenheit ihre zunächst verkündeten Position aufgeben, sich auf „moderate Lohnerhöhungen“ zu beschränken.

Gleichzeitig zeigt die Erfahrung der Kollegen im Öffentlichen Dienst, wie die Gewerkschaftsführung ihre Kampfbereitschaft ausgebremst hat, um einen allgemeinen Durchbruch des Kampfes gegen die Sparpolitik sowohl auf Länder- wie auf Bundesebene zu vermeiden. Die Gewerkschaftsverantwortlichen fürchten davon den Impuls für eine verstärkte Mobilisierung in den Gewerkschaften für ein klares Nein zu ESM und Fiskalpakt. D.h. zu den europäischen Verträgen, die es den Regierungen, die selbst nicht mehr die Kraft dazu aufbringen, ermöglichen sollen, über die Diktatur der EU/Troika die brutale Verschärfung der Spar-und Deregulierungspolitik zu erzwingen.

Ein besonders erhellendes Beispiel dafür liefert Straubhaar, Chef des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, mit dem Vorschlag, „Griechenland zu einem europäischen Protektorat zu machen“, um gegen den Willen der Volksmehrheit die von den Finanzmärkten geforderten Strukturreformen aufzuzwingen.

Verbunden mit den strengen Auflagen des ESM soll über das Diktat des Fiskalpakts eine verschärfte Schuldenbremse als Verfassungsgebot durchgesetzt werden, der sich alle Regierungen – unabhängig von demokratischen Wählerentscheidungen - zu unterwerfen haben; alle Völker Europas sollen darüber Sozialkahlschlagprogrammen ausgeliefert werden, wie sie es seit dem 2. Weltkrieg nicht gegeben hat.

„Ich will es noch einmal mit großer Deutlichkeit sagen: Der Fiskalpakt ist beschlossen, und er gilt. Das Ende der Schuldenpolitik in Europa ist vereinbart. Dabei bleibt es. Vereinbarungen zwischen Staaten werden durch Wahlen nicht ungültig“, stellt Außenminister Westerwelle in seiner Regierungserklärung vom 11. Mai unmissverständlich klar.

Die Einheit der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen kann die Ratifizierung der neuen europäischen Verträge sofort stoppen.

Wegen der zunehmenden Ablehnung, vor allem in den Gewerkschaften, aber auch in der SPD, und der Unfähigkeit der SPD-Führung, die Unterwerfung aller SPD-Bundestagsabgeordneten unter ein Ja zu garantieren, musste Merkel die Ratifizierung jetzt verschieben.

Umso mehr drängt sie darauf, unterstützt sowohl von der SPD- wie von der Gewerkschaftsführung, über Verhandlungen zu einem den Fiskalpakt ergänzenden „Wachstumspakt“ eine Mehrheit für die Ratifizierung zu retten. Dabei lässt Merkel nicht den geringsten Spielraum für Illusionen, dass durch eine solche Ergänzung des Paktes „auch nur ein Komma an dem Vertrag wie er ist geändert“ werden könnte. Und so steht denn auch der von Merkel vertretene Wachstumspakt mit der Forderung nach mehr Strukturreformen, nach Flexibilität und Öffnung der Arbeitsmärkte im Namen der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit (wie es auch der EZB-Präsident Draghi fordert) in keinerlei Widerspruch zu den Super-Kaputt-Spar- und Deregulierungsverträgen, zu ESM und Fiskalpakt. (s. auch Seite 11) „Es muss allen klar sein, dass der Fiskalpakt – um ein Wachstumselement ergänzt – in seiner Substanz nicht geschwächt wird. (Es) ist kein Kurswechsel“, betont EZB-Ratsmitglied Asmussen.

Wenn die SPD- und Gewerkschaftsführung für einen „Wachstumspakt“ als Ergänzung zum Fiskalpakt eintreten, bedeutet das also keineswegs die Ablehnung des Fiskalpakts sondern lediglich, dass sie der Regierung Merkel helfen, über dieses Täuschungsmanöver die notwendige Mehrheit für das Ja zu ESM und Fiskalpakt im Bundestag zu erreichen.

Die zunehmende Verunsicherung und auch Ablehnung der Verträge unter den SPD-Abgeordneten, die sich auf die Demokratie und den Sozialstaat berufen, muss zum Nein aller SPD-Abgeordneten werden. In diesem Sinne wird eine Delegation der Initiatoren der Erklärung „Nein zu ESM und Fiskalpakt“, die gestützt auf 1.300 Unterschriften und viele Beschlüsse von SPD- und Gewerkschaftsgliederungen am 24. Mai von SPD-Bundestagsabgeordneten empfangen wird, das Gespräch führen.

Und ebenso werden die Kollegen in den Gewerkschaften ihre Anstrengung verstärken, damit die Gewerkschaftsverantwortlichen ihrem Auftrag als Interessenvertretung der Arbeitnehmer und Demokratie durch eine öffentliche Verurteilung dieser von Merkel vorangetriebenen Politik, sowie durch einen Aufruf an die SPD-Abgeordneten, mit Nein zu stimmen, entsprechen.

Carla Boulboullé


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