Soziale Politik & Demokratie

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Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 259 | 9. Juni 2011 | Seite 3 | Zur Diskussion

Nach Portugal… erneut Griechenland. Und Deutschland?

„Wieder ist die Troika in fieberhafte Verhandlungen getreten“ (Handelsblatt), jetzt über erneute „Griechenland-Hilfen“ und ein verschärftes Schuldenabbauprogramm für das Land.

Mindestens 60 Milliarden sollen zur Rettung der Banken und großen Finanzinvestoren aufgebracht werden. Allen voran übt die Regierung Merkel massiven Druck auf die griechische Regierung aus, dem Volk noch größere Opfer abzupressen für dieses neue Milliarden-Paket, das zynisch als Hilfe für Griechenland ausgegeben wird.

Im Volk facht das von der Troika (EU-Kommission, Europäische Zentralbank und IWF) diktierte, verschärfte Sparprogramme neuen Widerstand an.

Wieder sind 100.000 Griechen, besonders Jugendliche, in Athen auf die Straße gegangen, während die Gewerkschaftsführungen weiterhin den Aufruf zum vereinten Generalstreik für die Rücknahme der Spardiktate verweigern.

Auf Transparenten forderten sie „Troika go home!“, hielten der Sozialistischen Regierungspartei Papandreous aber auch entgegen, „Ihr seid nicht mehr unsere Vertretung“ und überschütteten die Abgeordneten der PASOK, die für das Troika-Diktat gestimmt hatten, mit „Schande! Schande!“-Rufen.

Unter den Fahnen u.a. von Spanien, Portugal und Irland riefen sie die Völker Europas auf, ihnen in ihrem Kampf beizustehen.

Dieser Ruf richtet sich nicht an die Parteien, die zwar vorgeben im Namen der Arbeitnehmer zu sprechen, aber die von der Troika geforderten brutalen Spardiktate absegnen. Er richtet sich nicht an die SPD-Führung und Steinmeier, der im Namen der SPD-Bundestagsfraktion die Schande auf sich genommen hat, den „Hilfen für Portugal mit samt dem Paket (Spardiktat)“ als „Solidarität für Europa“ zuzustimmen

Er meint auch nicht die Gewerkschaftsführungen, die wie der DGB im Rahmen des EGB-Kongresses zwar die „krisenverschärfenden Spardiktate“ und Privatisierungsauflagen „als zu einseitig“ kritisieren, aber die Flutung immer neuer Milliarden für die Finanzmärkte und in deren Folge die Schuldenabbaupolitik grundsätzlich für alternativlos erklären.

Die SPD- wie die DGB-Führung wissen, dass die Ausschüttung immer weiterer Milliarden zur Rettung der Finanzspekulation die Staatsverschuldung auch in Deutschland weiter anschwellen lässt; dass die Regierung Merkel und die Landesregierungen schon heute im Namen von Schuldenabbau und Schuldenbremse Sozialabbau, Privatisierung und Lohndumping betreiben und weitergehende Maßnahmen gegen die Arbeitnehmer in Deutschland vorbereiten, wie sie z.B. von der EU-Kommission, gestützt auf den Euro-plus-Pakt, angemahnt werden. Darunter: mehr Wirksamkeit der Schuldenbremse auf Länderebene; Kostensenkung im Gesundheitswesen; weitere Senkung der „Kosten der Arbeit“; mehr Liberalisierung des Dienstleistungssektors, des Schienenverkehrs…

ESM-Pakt – Ausschüttung weiterer Milliarden an die Finanzspekulation

Am 24. März wurde im Europäischen Rat der „Europäische Stabilitätsmechanismus“ (ESM) beschlossen - und zwar in Verbindung mit dem vor allem von Merkel vorangetriebenen „Euro-plus-Pakt“ genannten „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ (einem „Frontalangriff" auf die Rechte der Arbeitnehmer in Europa, DGB).

Im ESM-Vertrag, der ein neues 700 Mrd. Paket zum Ausgleich für die Verluste der Banken und Spekulanten umfasst, wird die Notwendigkeit „strenger Auflagenprogramme“ definiert, die im Falle der Zahlung von Hilfsgeldern von der Troika entwickelt und den Ländern diktiert werden.

Im September soll die Einrichtung des ESM im Bundestag ratifiziert werden. Die Abgeordneten, die darüber abstimmen werden, wissen, dass die Milliarden keine „Solidaritätsgabe für das Land“ sind. Sie wissen, dass sie in Verbindung mit diesen Milliarden über „Auflagen“ abstimmen, die das Land, die Arbeitnehmer in den sozialen Niedergang treiben werden.

Kein Abgeordneter, der sich auf die Demokratie und erst recht auf die soziale Demokratie und Arbeitnehmerrechte beruft, ist legitimiert, den ESM-Milliarden und damit verbundenen „strengen Auflagen“ zuzustimmen.

Sie haben kein Recht, ihre Stimme für solche Schand-Diktate der Troika abzugeben, durch das die Souveränität der Völker und die Demokratie zertreten und die grundlegenden sozialen Lebensverhältnisse der Bevölkerung liquidiert werden.

Ebenso stellt sich für die Arbeitnehmer die Frage: Wie können die DGB-Verantwortlichen dem ESM-Vertrag, der neuen Milliarden-Staatsverschuldung für die Rettung der Banken zustimmen? Wie können sie einerseits zwar scharfe Kritik an der Einseitigkeit der Sozial- und Lohndemontageprogramme üben, die in den Auflagen festgeschrieben werden, aber gleichzeitig den durch den ESM-Vertrag und den Wettbewerbspakt bestimmten Gesamtrahmen, einschließlich den darin als absolute Voraussetzung für Hilfsgelder formulierten Spardiktaten der Troika, akzeptieren?

Gewerkschafter, Sozialdemokraten und politisch Engagierte haben in einem Antwortbrief auf die Einladung zur Dringlichkeitskonferenz der europäischen Arbeitnehmer in Lissabon unter der Losung „Rücknahme aller Spardiktate der Troika“ (s. Seite 10) eine breite Initiative der Arbeitnehmer und Jugend vorgeschlagen, die sich an die zur Abstimmung über den ESM-Pakt aufgerufenen Abgeordneten richtet:

Keine Zustimmung zum ESM-Pakt und zu den damit verbundenen „strengen Auflagenprogrammen“; verlangt von der Bundesregierung die Rücknahme ihrer Zustimmung zum „Euro-plus-Wettbewerbspakt“ auf dem Europäischen Rat am 24. März; tretet ein für die Rücknahme aller bisherigen und weiter geplanten (Griechenland) Schuldenabbau- und Strukturanpassungspläne.

Gewerkschaftskollegen haben diesen Vorschlag aufgegriffen und wollen dafür eingreifen, dass die Gewerkschaftsführungen für die gewerkschaftlich organisierte Mobilisierung der Kraft der Arbeiterschaft entscheiden, um die SPD-Abgeordneten im Bundestag aufzufordern, gegen die Ratifizierung des ESM-Paktes zustimmen und die Rücknahme der „Blut- und Tränen“-Programme gegen die Arbeitnehmer und Völker einzufordern.

Diese Initiativen werden den Arbeitnehmern und der Jugend helfen, durch ihre eigene Mobilisierung den Weg zu öffnen für den Bruch mit dem Troika-Diktat, dem Diktat der Politik des Schuldenabbaus gegen die arbeitende Bevölkerung und Jugend in Deutschland, in ganz Europa - für die Verteidigung der Demokratie, der sozialen Demokratie, der Souveränität der Völker.

Carla Boulboullé


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