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Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 260 | 23. Juni 2011 | Seite 3 | Zur Diskussion

„Wir schulden nichts! Wir werden nichts bezahlen!“

„Deutschland sei ein »Schlüsselland«, um zusätzliche Hilfen für Athen zu beschließen, erklärte Obama beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Washington Anfang Juni“ (SZ, 21. 6. 2011).

US-Präsident Obama erwartet von Kanzlerin Merkel und befiehlt, endlich ihr Zögern zu beenden und als Vertreterin der stärksten Wirtschaftsmacht Europas sofort zu handeln, um einen Staatsbankrott Griechenlands zu verhindern. Immer nachdrücklicher warnen Obama und Vertreter des US-Finanzkapitals vor einem Andauern der Krise und vor der von einem solchen Ereignis ausgelösten Schockwelle, die das Weltfinanzsystem und die Weltwirtschaft zum erneuten Absturz bringen könnte.

Sie soll sofort handeln, um die erpresserischen Forderungen und Interessen der großen Akteure auf den Finanzmärkten, die Banken und Investitionsfonds zu bedienen; damit die zur Absicherung ihrer Anlagen und Spekulationsgewinne erforderten Kredithilfen im Volumen von 120 Milliarden fließen, von denen Deutschland ein knappes Drittel aufzubieten hat; damit mit verstärktem Zwang dem griechischen Volk das verschärfte Schuldenabbauprogramm diktiert wird.

Unter der Führung der Troika (EU, IWF und EZB) wird der Druck auf die Regierung des „Sozialisten“ Papandreou unerträglich verstärkt. Sie diktieren ein grausames Programm: den Ausverkauf des nationalen Eigentums und Volksvermögens, den Spar- und Sozialkahlschlag von einem Ausmaß, dass den Volksmassen das Schicksal der sozialen Verelendung droht.

Warum zögert Merkel? Sie braucht Zeit für die panische Auseinandersetzung unter europäischen Regierungen und Troika darüber, mit dem zu beschließenden „Rettungspaket“ nicht die Krise zur Explosion zu bringen, die eigentlich damit eingedämmt werden soll.

Und sie braucht noch mehr Zeit für die Entfaltung einer demagogischen Kampagne, um diese weiteren Milliarden zur Finanzierung der Ausplünderung des griechischen Staates durch die Banken und Spekulanten der Bevölkerung in Deutschland als „Solidarität für Europa und Griechenland“ und als „im eigenen Interesse“ zu verkaufen. Und für die Hetze, dass die griechische Bevölkerung für die „solidarische Hilfe, die ihr auch von den deutschen Steuerzahlern gewährt wird, auch bereit sein sollte, etwas zu bezahlen.“

In der Hoffnung, den Widerstand gegen die, durch den von Deutschland aufzubringenden Milliardenanteil an der Kredithilfe verursachte nochmalige Erhöhung der deutschen Staatsschulden zu dämpfen, setzt die Regierung Merkel so hartnäckig auf einen wenn auch nur symbolischen „Beitrag“ von den privaten Gläubigern, Banken, Versicherungen, Investitionsfonds - zur Rettung ihrer Forderungen und opulenten Zinsgewinne.

Niemand, auch Merkel vertraut letztlich nicht darauf, das deutsche Volk mit diesem Lügengespinst umgarnen zu können. Die Arbeitnehmer in Deutschland wissen nur zu gut, dass die Milliarden keine „Hilfen“ für das Volk Griechenlands, wie auch schon für die Völker Portugals und Spaniens. Sie wissen auch, dass Merkel sie für die immer neuen Milliarden zur Rettung der Banken und Finanzinvestoren, die die Verschuldung der Öffentlichen Haushalte ins bodenlose treibt, bluten lassen wird.

Umso dankbarer registriert sie das Konsens-Angebot für das griechische Rettungspaket von dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Steinmeier. Eines Steinmeiers, der ausdrücklich den „Hilfen für Portugal samt Paket“ (das Paket der Spar- und Antireformmaßnahmen) im Bundestag zugestimmt hat, mit der zynischen Rechtfertigung, das in „Solidarität für Europa“ zu tun. Auch wenn er jetzt im Falle Griechenlands im Kampf um die Zustimmung der SPD-Fraktion noch prononcierter als Merkel auf einen „Beitrag“ der privaten Gläubiger drängen muss.

Seit fast einem Monat belagern jeden Abend Tausende das griechische Parlament und rufen dem „Sozialisten“ Papandreou und den Abgeordneten seiner PASOK zu: „Schande! Ihr vertretet uns nicht mehr!“

Noch steht der Termin nicht fest, an dem die Bundestagsabgeordneten zur Abstimmung über den Gesetzentwurf für das „Rettungspaket für Griechenland“ im Bundestag gerufen werden.

Doch welche Legitimation kann es für einen Abgeordneten geben, erst recht für einen sozialdemokratischen Abgeordneten, der sich auf die Demokratie und Arbeitnehmerrechte beruft, zur Bedienung der Finanzspekulation eine weitere Milliarden-Aufblähung der deutschen Staatsverschuldung zu entscheiden?

Welche Legitimation kann es für ihn geben, dafür zu entscheiden, dass ein Volk dem mörderischen Programm der Troika ausgeliefert wird; einer Troika, die verlangt, dass sich alle Parteien auch der Opposition diesem Diktat unterwerfen; einer Troika die nach Portugal nun auch Griechenland auf den Status eines Protektorats der Institutionen der EU und des IWF zurecht stutzen will?

Welche Legitimation kann es für ihn geben, dafür zu entscheiden, dass die europäischen Arbeitnehmer und Völker diese Milliarden für die Banken und Spekulanten gleichermaßen in den Empfänger- wie den Geberländern mit immer schärferen Spar- und Antireformprogrammen bezahlen sollen?

Arbeitnehmer, Gewerkschafter, politisch Engagierte und Sozialdemokraten wollen nicht akzeptieren, dass sich die Abgeordneten der SPD immer wieder der von der Parteiführung verordneten Disziplin beugen und einer Politik ihre Zustimmung geben, die allen historischen Werten und Zielen, für die diese SPD vor über 150 Jahren aufgebaut wurde, krass entgegengesetzt ist.

Sie haben die Initiative ergriffen, die SPD-Abgeordneten aufzufordern, gegen das griechische Rettungspaket im Bundestag mit Nein zu stimmen. Und von der Regierung Merkel die Rücknahme ihrer Zustimmung zu fordern, die sie im noch vorher tagenden Europäischen Rat geben will.

Zwar verurteilt der DGB die „krisenverschärfenden Sparpakete, die harten Sparauflagen und Privatisierung staatlichen Tafelsilbers“ als den „falschen Weg.“ Doch sagt er ebenfalls im Namen „europäischer Solidarität“ ein „klares Ja“ zu den erneuten Rettungsmilliarden, wohlwissend, dass dafür sowohl die Arbeitnehmer und Bevölkerung in Griechenland als auch in Deutschland die schmerzliche Rechnung bezahlen müssen.

Der Weg des ernsthaften Kampfes gegen die Schuldenabbaudiktate führt über das Nein zu den Rettungsmilliarden.

Und Arbeitnehmer, Gewerkschafter, politisch Engagierte und Sozialdemokraten sind der Überzeugung, dass es in der Verantwortung der Gewerkschaften liegt, von den SPD-Abgeordneten das Nein zu fordern.

Wie es auch ihre Überzeugung ist, dass der Weg zu einer Lösung der tiefen Krise nur über die Rücknahme des Spardiktats gegen das griechische Volk führen kann und über die Streichung der griechischen Staatsverschuldung gegenüber den privaten Gläubigern, den Banken, Versicherungen, Investitionsfonds.

Denn die Schulden sind nicht die der Völker… – und, wie das Transparent der griechischen Demonstranten formuliert: „Wir schulden nichts! Wir werden nichts bezahlen!“

Carla Boulboullé


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