Soziale Politik & Demokratie

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Aus: Soziale Politik & Demokratie Nr. 262 | 25. August 2011 | Seite 3 | Zur Diskussion

Interessenvertretung für wen?

Kaum hatten Merkel und die Euro-Gipfel-Teilnehmer am 21. Juni überstürzt die dringendsten Maßnahmen beschlossen, um die erpresserischen Forderungen der Finanzmärkte zu befriedigen, da sahen sich Merkel und Sarkozy wieder zu einem Krisensondertreffen am 17. August genötigt, um nachzulegen und dem Finanzkapital ihre Entschlossenheit zu demonstrieren, dafür zu sorgen, die geforderten Milliarden durch staatliche Kredite und Garantien zu mobilisieren und mittels Spardiktaten und Sozial- und Lohnabbau aus den Arbeitnehmern und Völkern Europas herauszupressen.

Merkel und Sarkozy wollten vor allem verschärften Druck auf die europäischen Länder ausüben, sich der Maßnahmensammlung des Euro-Wettbewerbspaktes zu bedienen: die Schuldenbremse als Hebel für Spar- und Schuldenabbauprogramme einzuführen, Lohnabbau vor allem durch die Zersetzung der tarifvertraglich und gesetzlich geschützten Arbeitsverhältnisse voranzutreiben.

Sie brachten vorsichtig eine „europäische Wirtschaftsregierung“ ins Spiel, um mit ihr schneller und wirkungsvoller das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente und andere Souveränitätsrechte zu brechen und die Länder zur Umsetzung dieser Politik „anhalten“ zu können.

Wie gewohnt kann auch dieses Mal niemand in den beschlossenen Maßnahmen und Plänen den ersehnten Beitrag zur „Bewältigung der Krise“ erkennen. Das Finanzkapital fordert mehr.

Und wieder sieht sich das Führungstrio der SPD gefordert, sich zu Wort zu melden.

Dass in einer solchen Situation die Führung einer Partei, die als historische politische Interessensvertretung der Arbeitnehmer gilt und sich noch immer auf deren Interessensvertretung beruft, zum Kampf aufruft für die Verteidigung der Interessen der Arbeiterschaft und der Demokratie, gegen die von der Merkel-Regierung und der EU im Interesse des Finanzkapitals diktierte Politik, könnte niemanden überraschen.

Von diesem Führungstrio, Steinmeier, Steinbrück, Gabriel, allerdings erwartet gerade das inzwischen niemand mehr und würde alle überraschen. Das Trio kritisiert – solidarisch (!) – die Regierung Merkel, nicht den Mut zu haben, weiter zu gehen mit ihren Maßnahmen und Vorschlägen, und bietet ihre volle Unterstützung über die Abstimmung der Rettungsschirme ESFS und ESM an und für weitergehende „unpopuläre Maßnahmen“.

Der SPD-Fraktionschef Steinmeier tritt ein für „Eurobonds unter strengen Auflagen“ für die kreditnehmenden Länder. Er fordert für die EU „größere Eingriffsmöglichkeiten“ in die nationale Finanz- und Wirtschaftspolitik, „wie sie der IWF hat“. (Spiegel, 21.8.2011) Das zielt auf die Schaffung einer neuen, den Lissabon-Vertrag sprengenden, supranationalen europäischen Institution, einer Wirtschaftsregierung, wie sie von Steinbrück seit einiger Zeit gefordert wird.

Der SPD-Vorsitzende Gabriel sorgt sich zutiefst um die Interessen des Finanzkapitals: „Es ist doch klar, dass die Märkte, bei denen sich die Staaten Geld leihen, sicher sein wollen, dass sie dieses Geld zurückbekommen. Und deswegen glaube ich, gibt es überhaupt keinen anderen Weg, als diese Sicherheit zu schaffen…“ Und auch er bekräftigt, dass „die Staaten, die von einem Eurobonds profitieren wollen, natürlich auch einen Teil ihrer Souveränität für ihre Haushaltspolitik abgeben.“ (Interview im Deutschlandfunk am 16.8.2011)

Die SPD-Führung fordert Eurobonds, weil das Finanzkapital diese will. Das formuliert der Anlageberater C. Stadermann in der FAZ vom 18.8. wie folgt: „Die Finanzmärkte wollen die Euro-Anleihen und sie werden keine Ruhe geben, bis Euro-Anleihen geschaffen werden. Die Finanzmärkte treiben die Politik vor sich her. Es hat keinen Sinn, etwas verhindern zu wollen, was ohnehin kommt.“

Gabriel, wie die gesamte SPD-Führung eifriger Verfechter der Schuldenbremse, macht die pünktliche Zahlung der Schuldzinsen und den Schuldenabbau zum absoluten Diktum. Die Troika von EU, EZB und IWF diktierte bislang die dafür notwendigen Maßnahmen für das Aufgebot immer neuer Staatsmilliarden zur „Rettung“ der Banken und Spekulanten und für die Milliarden-Auspressung der Arbeitnehmer und Völker. Die Forderung der SPD-Führung nach einer „wirklichen Wirtschaftsregierung“ läuft darauf hinaus, die diktatorische Gewalt der Troika einer supranationalen Regierungsinstitution auf EU-Ebene zu übertragen, unter deren Stiefel Demokratie und Souveränität und die sozialen Errungenschaften der Völker zertreten werden.

Da hilft es nichts, wenn der DGB-Vorsitzende Sommer die gleiche Forderung nach Eurobonds und einer europäischen Wirtschaftsregierung im Namen der „europäischen Solidarität“ und im Namen einer durch das EU-Parlament (das kein wirkliches Parlament ist) legitimierten „echten“ europäischen Wirtschaftsregierung vertritt.

Muss Solidarität mit den europäischen Arbeitnehmern und Völkern nicht heißen, die Streichung der Schuldzinsen und Schulden zu fordern, die nicht die Schulden der Völker sind? Der Weg zu einem wirklich freien Bündnis der souveränen Völker Europas führt nicht über die Milliarden-Fütterung des Finanzkapitals und Blut- und- Tränen-Programme gegen das Volk, sondern über den Bruch mit der EU – für die Verteidigung der Demokratie, der Gewerkschaftsunabhängigkeit und der Interessen der Arbeiterschaft und Jugend.

Die nächsten Schritte der Übertragung weiterer diktatorischer Befugnisse auf die EU für eine schnellere Durchsetzung der Politik der Milliarden-Rettungsprogramme für Banken und Spekulanten und der Schulden- und Lohnabbauprogramme gegen die Bevölkerung stehen bevor.

Die Regierung Merkel will, gestützt auf die SPD-Führung, das Rettungspaket gegen Griechenland, die Aufstockung und Befugniserweiterung des Rettungsschirms EFSF und seine Fortsetzung durch den Rettungsfonds ESM im September im Bundestag einbringen und durch die Abgeordneten abnicken lassen.

Gewerkschaftlich und politisch engagierte Arbeitnehmer haben sich mit einem Offenen Brief an die SPD-Abgeordneten, an die Abgeordneten, die sich auf die Arbeitnehmerrechte und Demokratie berufen, gewandt, mit der Aufforderung, sich nicht erneut der von der Parteiführung verordneten Disziplin, die den Interessen des Finanzkapitals gehorcht, zu unterwerfen: „Es ist Eure Pflicht, von der Regierung die Rücknahme der Zustimmung zum ESM, zum griechischen „Rettungspaket“ sowie der Verstärkung des EFSF zu fordern, als auch den Austritt aus dem Euro-Plus-Pakt (Wettbewerbspakt)“ und mit Nein gegen diese neuen EU-Pakte zu stimmen.

Ebenso wenden sie sich mit dem Offenen Brief an die Führungen der DGB-Gewerkschaften: Sie haben als gewerkschaftliche Interessensvertretung der Arbeitnehmerschaft die Verantwortung, den Rettungspaketen und –schirmen eine Absage zu erteilen, den Austritt aus dem Wettbewerbspakt mit seinem Diktat des Schulden, Sozial- und Lohnabbaus gegen die Arbeitnehmer zu fordern und ihre Stimme zu erheben für die Unterstützung der Forderungen an die Abgeordneten.

Ist es nicht die Aufgabe der gewerkschaftlich und politisch engagierten Arbeitnehmer, diesen Offenen Brief zu unterzeichnen und zu unterstützen?

Sie werden eingeladen, sich in politischen Initiativen zu versammeln und den Kampf dafür zu verstärken.

Carla Boulboullé


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